Kolonistendorf Neulietzegöricke
»Lietze« ist das älteste Kolonistendorf im Oderbruch. Heute stehen die vielen Fachwerkhäuser unter Denkmalschutz. Ein beschilderter Dorfrundgang erzählt Ihnen vom Leben der Kolonisten. Einmal im Jahr, im September, lädt das ganze Dorf zum Kolonistentag ein. Im Kolonisten-Kaffee erwartet Sie selbstgebackener Kuchen.
Ganz in der Nähe finden Sie das Theater am Rand in Zollbrücke. Hier, direkt an der Oder, finden Sie weitere Einkehrmöglichkeiten.
Kolonistendorf Neulietzegöricke
Neulietzegöricke 62
16259 Neulewin OT Neulietzegöricke
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Kultur & Gastro
Fachwerk soweit das Auge reicht
Ein Reisebericht von Michael Anker
Episode 9
Neulietzegöricke, für Fremde ein wunderlicher Name. Die Oderbrücher nennen das älteste Kolonistendorf des Oderbruchs meistens kurz „Lietze“. Neulietzegöricke ist seit 2018 einer der ersten ausgewiesenen Kulturerbe-Orte. Fremde und Heimische sind sich darin einig, dass es wohl eines der schönsten Dörfer im Bruch ist. Immerhin stehen dort die meisten denkmalgeschützten Fachwerkhäuser dieser Flusslandschaft. Fast die Hälfte aller Häuser sind ganz oder zum Teil mit Fachwerk gebaut. Viele sind zudem wunderschön restauriert. Nach der Trockenlegung des Oderbruchs ließ Friedrich der Große den Ort als erstes Kolonistendorf anlegen. Seinen Namen bekam es von dem Dorf Alt Lietzegöricke (Stare Łysogórki) auf der polnischen Seite der Oder, in die Wiege gelegt. Er ist slawischen Ursprungs und bedeutet so viel wie kahler Berg. Zeit für einen Rundgang mit Lietzes Dorfschulze alias Horst Wilke. Er war mehr als 28 Jahre lang Bürgermeister des Ortes und kennt sich aus. Wie in alter Zeit begrüßt er mich auf Oderbruch-Platt, einem Dialekt den man heute nur noch selten zu hören bekommt.
Unser Spaziergang durch Neulietzegöricke führt entlang des Dorfangers und auf der anderen Seite wieder zurück. An vielen Häusern bleibt der Dorfschulze stehen und gibt eine passende Geschichte oder Anekdote zum Besten. Zum Beispiel die, von der in der DDR sehr beliebten Schauspielerin Agnes Kraus, die dafür sorgte, dass die Straße gefegt wird. Bei anderen spricht er über die Historie des Gebäudes oder seine Restaurierung.
„Wie einige weitere Oderbruchdörfer auch, wurde das langgestreckte Straßendorf beiderseits eines Entwässerungsgrabens errichtet“ erzählt Horst Wilke. Im August 1753 wurde mit den ersten Arbeiten begonnen. Den Platz für das Dorf hatte man sorgfältig gewählt. Nach vorherigen Oderhochwassern konnten die Bewohner der Gegend beobachten, welche erhöhten Stellen zuerst trocken wurden. Dort wurde die Siedlung errichtet. Im heutigen Dorfanger hob man Erde aus und schüttete sie rechts und links auf. Auf diesen Wällen errichtete man die Fundamente der Häuser, die nun einen erhöhten Stand hatten und dadurch einen besseren Schutz vor den regelmäßigen Hochwassern der Oder. Bis 1754 war Neulietzegörickes erste Besiedelung durch Kolonisten, unter anderem aus der Pfalz, aus Baden-Württemberg oder dem Warthebruch, abgeschlossen. Eine Feuersbrunst zerstörte 1832 den größten Teil des Dorfes, der später aber wieder aufgebaut wurde. Die ursprüngliche Dorfstruktur blieb dabei weitgehend erhalten.
„Die ersten Häuser bei der Gründung von Neulietzegöricke waren Doppelhäuser, um einen Giebel und damit Geld zu sparen. Das hatte zwei wesentliche Nachteile“, weiß der Dorfschulze zu berichten. „Zum ersten gab es unter den Nachbarn öfter Streit, weshalb die Häuser auch gern Zank-Häuser genannt wurden. Zum zweiten beschleunigte die enge Bebauung die Brandkatastrophe.“ Die neuen Häuser seien anschließend einzeln auf separaten Hofstellen gebaut worden. Bei seinen regelmäßig veranstalteten Dorfrundgängen erklärt Horst Wilke den Besuchern anhand einer Zeichnung, wie das Dorf einst preußisch korrekt geplant wurde. Großkolonisten bekamen 90 Morgen, Mittelkolonisten 50 und Kleinkolonisten nur zehn Morgen Land (ein preußischer Morgen entsprach etwa 5.200 bis 5.800 Quadratmeter). In der Dorfmitte durften nur öffentliche Gebäude stehen, das waren die Kirche, die Schule und ein Gasthof. An den Stirnseiten des Angers standen Tagelöhner-Häuser. Die Dorfschule existierte noch bis 1971, beherbergte danach einen „Konsum“, den Gemeindesaal und aktuell das „Kolonisten-Kaffee“. Der Gasthof ist geblieben was er schon immer war, und trägt den ausgefallenen Namen „Zum feuchten Willi“.
Wer das Oderbruch besucht, solle „Lietze“ nicht verpassen. Nach einem Dorfrundgang und einer Stärkung im Kolonisten-Kaffee (Saison beachten) lohnt ein Spaziergang entlang der Oder im nahen Zollbrücke. Dort befindet sich auch das überregional bekannte „Theater am Rand“. Horst Wilke als Dorfschulze kann man schon vorab erleben. Im Kurzfilm über das Kulturerbe im Oderbruch präsentiert er Neulietzegöricke:
Bisher erschiene Episoden können Sie unter folgendem Link lesen: https://blog.oderbruchmuseum.de/category/reise-durch-die-kulturerbe-orte/
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